Der Nichtwähler in der Demokratie

Mail an Prof. Schröder, Verfassungsgericht Brandenburg am 25.09.07

Sehr geehrte Damen und Herren,

Prof. Schröder (SPD) hat in einer Sendung des MDR, Fakt ist (25.09.07 Thema Vereintes Deutschland - unterschiedliche Denke oder so ähnl.), geäußert, Nichtwähler in der Bundesrepublik seien ungebildet und hätten erhebliche Info-Defizite. Nichtwähler glaubten zu dem, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen. Bei mir entstand unvermittelt der Eindruck, gerade Herr Schröder selbst habe einen der größten Löffel benutzt, um derart weise zu werden. Gerne würde ich diesem gebildeten Zeitgenossen meine eigene, bescheidene Auffassung über die Wahrnehmung eines verfassungsmäßigen Grundrechts darlegen, zu dem es auch gehört, selbst zu entscheiden, ob ich an (demokratischen) Wahlen teilnehme und wie ich an Wahlen teilnehme.

In der DDR habe ich aus tiefer Überzeugung davon, mich an der Menschenverachtung und Entwürdigung der Menschen mitschuldig zumachen, wenn ich mich an diesen eher peinlichen Scheinwahlen zur Volkskammer beteiligen würde, bereits in den Siebziger Jahren an keiner dieser entwürdigenden Wahlen teilgenommen. Auch nicht nach wiederholten Stasi-Besuchen, die mich einschüchtern und zum Umdenken bringen sollten. Die scheinheiligen, verlogenen Argumente - selbst aus meinem persönlichen Umfeld - es könne nur jemand an bestehenden Unzulänglichkeiten in einer Gesellschaft etwas ändern, wenn er an den Wahlen teilnehme, zumal dies eine bürgerliche Pflicht sei, belegt doch klar und eindeutig, dass es unter den Wählern erhebliche Defizite gibt beim Wissen, beim Gespür um die gesellschaftlichen Zusammenhänge und den Auswirkungen persönlicher Verhaltensweisen. Hätte ich diesen verlogenen Wahlspuk damals in dieser DDR mitgemacht, so hätte ich allein schon durch meine Wahlbeteiligung dieses System bestätigt und damit Unrecht gestärkt, auch wenn ich das gesamte zur Wahl gestellte Politbüro- und sonstiges Kandidatengesindel per Durchstrich auf dem Wahlzettel zum Teufel geschickt hätte. Niemand hätte davon Notiz genommen. Wie wir wissen, waren die veröffentlichten Ergebnisse solcher Wahlen gezinkt. Und trotz dieses Wissens in der Wahlbevölkerung haben die Bürger noch an jeder folgenden Wahl wieder teilgenommen! Wenn Herr Schröder solch geradezu idiotisches Verhalten als Folge von Bildung und Verantwortungsbewußtsein sieht, dürften wohl Fragen dazu auftauchen und erlaubt sein.

In einer gelebten Demokratie einen Menschen mittels diffamierender Unterstellungen zwingen zu wollen, sich an etwas zu beteiligen, wovon dieser glaubt, dass es eher schädlich und dekadent ist als nützlich und konstruktiv, ist zweifelsohne engstirnig und unrechtmäßig. Nichtwähler in der DDR wurden in Westdeutschland bejubelt und beklatscht. Und Nichtwähler in der Bundesrepublik werden im demokratischen Deutschland verteufelt und diffamiert.

Was hat Herr Schröder eigentlich für eine Auffassung von Demokratie, Freiheit und Menschenwürde. Genau wegen dem Fehlen dieser drei Säulen einer gesunden menschlichen Zivilisation hatte ich seinerzeit diese Menschen verdummende DDR verlassen- mit allen Risiken, die damit verbunden waren. Ich habe meine freiheitlich-demokratische Gesinnung unter Einsatz meines Leben, meiner Gesundheit offen gezeigt. Niemand konnte und wollte mir eine Garantie dafür geben, beides zu behalten. Was hat dieser Herr Schröder in seinem DDR-Leben eigentlich riskiert? Er hat zwar eine glänzende Bildungs-Karriere gemacht, aber dem Moloch DDR nicht die Stirn geboten - oder doch?

Also was soll das Gerede Herrn Schröders um die ungebildeten, unverantwortlichen, klugscheißenden Nichtwähler. Soll er doch - gerade er - dafür sorgen, dass zum Beispiel seine Partei endlich Voraussetzungen schafft, auf denen sich Vertrauen seitens der Bürger aufbauen. Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der politischen Akteure ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür. Das Gespenst der Politikverdrossenheit beim Bürger kommt nicht von ungefähr und gleich gar nicht aus dem Nichts daher. Hier besteht erheblicher Handlungsbedarf seitens derer, die anderen vorwerfen, sie würden nicht verantwortungsbewußt handeln. Auch nach der DDR lasse ich mich nicht vor einen Karren spannen, in dem Leute sitzen, die mein Vertrauen nicht verdienen und von denen ich überzeugt bin, dass sie mir eher schaden, weil sie nicht befähigt sind, diese Gesellschaft wirklich voranzubringen. Probleme, die aus meiner Sicht lösbar sind, werden nicht angepackt. Von keiner der angeblichen Volksparteien. Gerechtigkeit schaffen kann man eben nur mit Glaubwürdigkeit. Und die haben diese Politiker in meinen Augen längst verspielt. An Unglaubwürdigkeit und Verlogenheit ist übrigens auch diese DDR gescheitert! Doch darüber wird beflissentlich geschwiegen.

Auch in der Bundesrepublik hat sich gezeigt, dass der Wille sogar der Mehrheit von Wählern von den gewählten Volksvertretern am Ende ignoriert wird. Unter der vorherigen Regierung war das ganz deutlich: Es wurde genau das Gegenteil von dem praktiziert, was in den Wahlversprechungen suggeriert worden war. Heute gibt es eine Masse mehr Arme als je zuvor. Die Vorzüge einer der Sozialen Marktwirtschaft werden immer zudringlicher in Frage gestellt und der Sozialstaat - als Garant des gesellschaftlichen Friedens - demontiert. Die Armut der Masse der Bevölkerung wird als folge kläglichen Versagens des Individuums hingestellt. Jeder ist sich selbst der nächste. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Die Armut der Masse der Bevölkerung wird als Folge kläglichen Versagens des Individuums hingestellt. Jeder ist sich selbst der nächste. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Eigenverantwortung im Verbund mit Bildung als Schutz vor Armut und gesellschaftlicher Verachtung.

- Wenn das der Trend dieser neuen Gesellschaft ist, dann Gnade denen, die dieser Normierung nicht genügen.

Klaus - 25.09.07