Unsere Mitschuld an den Folgen von Hartz4

MDR-Fakt ist... am 12.06.06



eMail an mdr faktist@mdr.de, am 12.06.06, Thema: Hartz4 und Niedriglöhne

Sehr geehrte Damen und Herren,

das üble Thema Hartz4 ist in Ihrer Diskussion durch eine Betroffene selbst einmal von einer Seite beleuchtet worden, die ansonsten beflissentlich ausgeblendet wird, sowohl von den Volkstretern selbst, den Unternehmern als auch von den Mitarbeitern in den Medien - Reporter, Moderatoren - und doktorbehüteten und professorenbekittelten, jedoch immer wieder sich letztendlich als schäbige Versager erwiesenen Klugscheißern: die zutiefst menschliche Seite. Die Frau hat sehr deutlich auf die Menschenverachtung hingewiesen und einen durchaus nachvollziehbaren Bogen geschlagen zu unserer schändlichen Vergangenheit, in der Menschen auf verabscheuungswürdigste Weise zunächst verleugnet, dann ausgegrenzt und schließlich als Volksschädliche diffamiert und dann umgebracht worden sind.

Uns holt die Vergangenheit ein.

Der Landesvorsitzende der FDP, selbst Unternehmer, hatte zum Thema Lohnniveau natürlich eine ganz spezies-typische Auffassung. Erstaunlich war, dass er sich zunächst selbst der Sittenwidrigkeit bezichtigt hatte, in dem er erklärte, er habe anfangs seinen Mitarbeitern ganz miserable Löhne gezahlt, weil das junge Unternehmen anfangs nicht mehr hergab. Miserable, sittenwidrige Löhne sind solche, die so niedrig sind, dass der Arbeitnehmer nicht einmal seine eigenen Lebenshaltungskosten damit bestreiten kann, geschweige denn die einer Familie. Löhne, die auf derart niedrigem Niveau angesiedelt sind, sind ein Ausdruck für kriminelle Menschenverachtung, nichts anderes.

Unternehmen, die keine menschenwürdige Löhne bieten können, sind es nicht wert zu existieren.

Solche Unternehmungen mit so abartig schlecht bezahlten Arbeitsplätzen braucht unsere Gesellschaft nun wirklich nicht - auch nicht als Übergang zu besseren Zeiten. Denn wovon soll der Arbeitnehmer solange leben? Von den Beleidigungen und Verdächtigungen, die mit den zusätzlichen Transferleistungen aus dem Steuersäckel einhergehen etwa?

Zu allem Überfluss legte der FDP-Mann nach, komme es nicht darauf an, ob jemand etwas mehr verdient, sondern nur darauf, das jemand Arbeit hat und arbeiten kann, wegen seines Selbstwertgefühls. Wenn mir einer erklären will, was ganz primitiver Zynismus ist, dann so.

Das Selbstwertgefühl fordert auch die Gewissheit, dass ich von dem Erlös aus Arbeit menschenwürdig, ja überhaupt leben kann. Und genau das wird auch verlangt, will man die Menschenwürde nicht mit Füßen treten. Nahezu alle, die selbst noch nicht von Hartz4 betroffen sind, reden, wenn sie denn reden, von einem Monster, dass sie nicht wirklich begriffen, nicht verstanden haben und auch nicht ehrlich bewerten können. Aber alle machen sich mitschuldig an den Beleidigungen, Diffamierungen, Unterstellungen und der Herzlosigkeit gegen die Menschen, die als Transferleistungsbezieher - hier Hartz4 - von dieser unserer Gesellschaft zunehmend geächtet und verfolgt werden. Jeder einzelne, jeder für sich! Jeder, der sich daran beteiligt.

Die Debatte um Mindestlöhne ließe sich auch abkürzen, nämlich, wenn zumindest die Grenze, unter der ein menschenwürdiges Existieren nicht mehr möglich ist, das Niveau eines Mindestlohnes markiert.

Vom ideellen Wert einer Arbeit für den, der sie leistet, kann keiner Leben. Arbeit dient in erster Linie dem Lebensunterhalt. Dieser einfachen Tatsache muss endlich Rechnung getragen werden. Alles andere ist dummes Zeug. Und gerade in einer Bildungs- und Wissensgesellschaft, die wir doch vorgeben zu sein, sollte dies drin sein.

Übrigens, wie weit könnten z. B. die Löhne beim MDR abgesenkt werden, bis ein Niveau erreicht ist, wo ein Überleben nahezu ausgeschlossen ist?

Klaus 13.06.06