Exakt -Themen am 08.08.06 - Umsetzung neuer Regeln bei Hartz 4



Hallo Moderatorin Annett Glatz,

Exakt im MDR am 08.08.06 Thema: Umsetzung der neuen Regeln von Hartz 4



Was ist das für ein inzwischen schon total verkommenes System, diese unsere Gesellschaft, in der Angestellte eines allmächtigen Staatsapparates wieder rücksichtslos mit unbarmherziger, z. Z. noch auf den seelischen Bereich



beschränkten Gewalt hirnrissig wie menschenverachtend, die mit heißer Nadel gestrickten, aus dem Boden gestampften Gesetzte und Bestimmungen in die Tat umsetzen…sollen.

Und wieder sollen einfache Menschen verführt werden, sich an der Verübung massenhaften Unrechts zu beteiligen.



Kennen wir doch alles bereits aus unserer jüngeren und jüngsten beschämenden deutschen Geschichte. Nur 60 Jahre sind eine lange Zeit und für manchen von uns ist diese Zeit bereits in Vergessenheit geraten, trotz gelegentlicher aber



beeindruckender deutlicher Dokumentationen in Fernsehen und Printmedien. Und wenn’s schief geht will’s wieder keiner gewusst haben oder gar gewesen sein; soll heißen, selbst beteiligt gewesen sein.



Deutschland erwache, kann ich hier nur sagen. Und mir bleibt die Hoffnung darauf, dass diesmal die Akteure ihrer Strafe nicht entgehen.

Es gibt Tätigkeiten – gerade im Rückblick auf die Gräueltaten z. B. von unscheinbaren Büroangestellten bestimmter Ämter oder den „Beschäftigten“ in den unmittelbaren, schlimmsten Tatorten im Nazideutschland, später auch in der DDR –, die erledigt man einfach nicht, im Namen des Anstandes und der Menschenwürde – und der Achtung vor einem selbst.



Erst bei Herausforderungen wie die jetzige Finanznot bei der Aufrechterhaltung eines unverzichtbaren Sozialstaates zeigen die Macher und bestimmte Teile dieser Gesellschaft, was noch in ihnen steckt und es zeigt sich, wie es um



die Freiheit und die Achtung der Menschenrechte wirklich bestellt ist. Und das zeigt auch, was wir von einer derartigen Gemeinschaft noch erwarten und befürchten müssen. Wehret den Anfängen, kann ich hier nur sagen. Es wird ganz klar: Jetzt sind Anstand und Zivilcourage in uns gefragt!

Es überrascht mich nicht, dass es heute immer noch Leute gibt, die sich dazu hergeben, die Würde anderer Menschen mit





Füßen zu treten und sich so an ihnen schuldig zu machen. Sie sind ganz persönlich für dieses Verhalten verantwortlich.



Da helfen keine Paragraphen und kein Beichtstuhl. Es nützt ihnen nichts, sich hinter höchst fragwürdigen Gesetzen und situationsabhängigen Bestimmungen zu verschanzen, mit dem Argument, sie würden damit nur ihre Pflicht erfüllen und ihre Arbeit machen.


Schnüffeln im Schlafzimmermief

Das taten die Peiniger und Mörder in den Vernichtungslagern der Nazis auch; die Richter, Staatsanwälte und Vernehmer der Stasi sowie die Mitarbeiter der Abteilungen des Innern in den Rathäusern oder sonst wo in der Verwaltung in der DDR übrigens genau so. Aber auch die „Medienschaffenden“ dieser Regime taten dies, ehrgeizig, engagiert, willfährig und hingebungsvoll. - Aber: Pflichterfüllung hat auch ihre Grenzen.

Die in der Sendung „Exakt“ vorgeführten Beispiele, wie die neusten Geistesblitze von Politikern und deren Beratern von unschuldig dreinblickenden tatkräftigen, fleißigen Helfern in die Tat umgesetzt werden, zeigen dem aufmerksamen, sensibilisierten Zuschauer das ganze sich in unserer Nation wieder ausbreitende Dilemma der Unfähigkeit, zwischen vermeintlicher Pflichterfüllung oder Rechtschaffenheit und der Beteiligung an Unrecht und Menschenverachtung unterscheiden zu können.


Kühlschrank-Kontrolle

Der in einem der Beiträge vorgeführte junge Mann, dem nach der erfolgreichen Teilnahme an Qualifizierungen trotzdem kein Job, keine Lebensperspektive vermittelt, angeboten worden ist, war nach der „Betreuung“ durch eine Mitarbeiterin (Fallmanager) so irritiert, dass er die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Das waren keine Tränen der Rührung,



das war Ausdruck tiefster Verzweiflung. Obwohl er ohne jede annehmbare Alternative war, verkündete die Sachbearbeiterin des Arbeitsamtes in Kamenz ihm mit maskenhaft kalter Mine, dass er auch keinen Anspruch auf ALG II habe, weil er bei den Rente beziehenden Eltern untergekommen ist und von denen versorgt werden könne. Der Auszug aus der elterlichen Wohnung nütze jedoch auch nichts, weil dies eine der neuen Regelungen unterbindet (der Gerechtigkeit wegen, ha!). Der TV-Beitrag sollte wohl zeigen: Hier wird endlich aufgeräumt, endlich hart durchgegriffen! – Oder?

Ein anderes beschämende Beispiel in dieser Sendung: Das vermeintliche Zusammenwohnen einer ledigen Frau mit ihrem Vermieter. Eine völlig unappetitliche, verworrene Geschichte. Die zwei Akteure vom Arbeitsamt Kamenz durchforsteten nicht nur das unaufgeräumte Schlafzimmer der verdächtigten Frau, nein, sie suchten sogar in ihrem Kühlschrank nach belastenden Anzeichen eines Missbrauchs von Hartz 4.

Jeder von Hartz 4 Betroffene muss ich angesichts derartiger Handlungen gegen ihresgleichen völlig gedemütigt und entrechtet vorkommen und sich übel fühlen und fürchten, der nächste zu sein, dem heute nur zwei, wenn auch noch ruhige, später möglicherweise aber eine ganze Horde brüllender „Ordnungsschaffende“ die Wohnungstüre einrennen, eintreten, einschlagen und in jedem Winkel der Wohnung ihre Duftmarke absetzen, Schränke durchwühlen, Betten



auseinander nehmen oder die Zahnbürsten im Bad auf verdächtige Spuren beäugen.
Wann werden den vermeintlichen Sozialschmarotzern die Fensterscheiben eingeschlagen, die Wohnungen und Häuser gestürmt, ihnen diskriminierende Schilder um den Hals gehenkt, sie aus der Gesellschaft auf "endlösende" Weise entfernt? Wenn das alles keine Menschenverachtung, keine Verletzung der Menschenwürde ist, wo fängt das dann eigentlich erst an?

Ein weiteres denkwürdiges Beispiel suggestiver wie scheinheiliger Berichterstattung ist die undurchsichtige Sache mit dem geerbten Wohngrundstück eines Hartz 4 – Interessenten, der angeblich mit dem damit erschlichenen Geld dieses Anwesen zu sanieren gedachte, wie der Betreuer vom Arbeitsamt äußerst schlau mutmaßte. Sogar der namenlose Briefkasten am Grundstückszaun war verdächtig. Mit solchen Unterstellungen bringt er jeden Häuslebesitzer, der in die Hartz 4-Falle geraten ist in den Verdacht, mit Hartz 4 sein beneidenswerten Grundbesitz aufpeppen zu wollen und so der steuerzahlenden Gemeinschaft zu schaden. Das trifft übrigens genau die Schlagzeile in den TV-Medien: „Reich durch Hartz 4“ und die unter der Steuerlast ächzenden, anständigen, ehrlichen Arbeitnehmer mitten ins Herz. Da muss doch endlich hart und schonungslos durchgegriffen werden, ha!

Einzelfälle von Missbrauch rechtfertigen jedoch nicht den Generalverdacht. Schließlich sind wir doch auch kein Volk von Steuerhinterziehern, nur weil einige ganz gewiefte Zeitgenossen dies tun. Wir sind auch nicht alle Millionäre, nur weil ein paar wenige sich vor Geld nicht mehr retten können.

Beim unbedarften, naiven Rest der Bevölkerung muss der Eindruck entstehen, Hartz 4 –Empfänger - diese langzeitarbeitslosen „Schmarotzer“ – erwerben auf Kosten der Steuerzahler Grund und Boden, bauen sich Häuser oder lassen diese über Hartz 4 sanieren. Wo soll diese Darstellung von Lebenswirklichkeit eigentlich hinführen? Wer verantwortet die Folgen? Wer war’s dann gewesen?



Diese Ehepaar hatte den gesetzlich festgelegten Grenzen von Sparvermögen vertraut, bis dahin noch ein Anspruch auf ALG II bestehen sollte. Ihr Pech aber war, dass einem aus der Regierungsriege oder einem anderen Hütchenspieler der Dreh eingefallen war, plötzlich diese Grenze weiter herunterzusetzen. Auf einmal waren sie wie durch ein Wunder nicht mehr ALG II-bedürftig. Offenbar sind sie durch Hartz 4 reich geworden.

Warum habe ich den Eindruck, bei den MDR-Moderatoren spukt sowas wie Schadenfreude und Gehässigkeit in den Gehirnwindungen, wenn es darum geht mitzuhelfen, den Verlierern dieser immer mehr menschenfeindlich werdenden Gesellschaft das Fürchten zu lehren und das Wasser abzugraben?

Klaus - 08.08.06 - Anecken.de