Demokratie und Menschenwürde

Betreff: Ihre Mail mit Anhang vom 26.10.04 - Direktdemokratisches Netzwerk demokratiepur.de

Hallo verehrter Herr Stephan,
habe mich gerade mit Inhalten Ihrer Webseite befasst. Der Verfassungsentwurf weist schon einige Punkte auf, mit denen ich mich durchaus identifizieren kann. Da wären die Überlegungen über den Gebrauch der Freiheit zum Wohle der Schwachen. Oder Recht auf Sozialhilfe. Hier würde ich allerdings anfügen: aber ohne Diskriminierung und Entwürdigung der Betroffenen! Heute ist es an der Tagesordnung, diese öffentlich zu teeren, zu federn und zu diffamieren.
Einige Überlegungen jedoch halte ich für problematisch: Wohlhabende haben die Pflicht zur Wohltätigkeit. Oder: …zur Schaffung von Wirtschaftskraft und Arbeitsplätzen. Was Ihre Auffassung angeht, Eigentum in unbegrenzter Höhe wird weiterhin vom Staat geschützt, so halte ich diese für überdenkenswert. Nämlich in die Richtung, Eigentum – Reichtum – eher zu begrenzen.
Ich selbst halte gerade die Unbegrenztheit von Reichtum für eine der wesentlichen Ursachen für das Vorhandensein von unersättlicher Gier nach immer mehr. Und das ohne Rücksicht auf Verluste bei den anderen. Es ist eine der Ursachen für Ungerechtigkeit, Missbrauch und Menschenverachtung. Des weiteren bin ich der Auffassung, wir müssen endlich…

Die Mehrheit des Volkes sind keine Intellektuellen oder Akademiker

– das so genannte Bildungsbürgertum. Die Mehrheit in der Gesellschaft bilden die Menschen ohne Karriere-Ambitionen und Elitebewusstsein. Und dieser Tatsache muss endlich Beachtung und Respekt zukommen. Die Politik muss auf die Belange der Mehrheit des Volkes ausgerichtet sein. Wie auch immer geartete Bildung darf nicht weiter zum Instrument zur Unterdrückung, Entmündigung und Benachteiligung des anderen verkommen. Das besagte Mengenverhältnis wird naturgemäß auch so bestehen bleiben, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht. Da helfen auch keine noch so teuer angelegten Investitionen in die vielbeschworene Bildung; die ist erstrecht kein Allheilmittel gegen eine schlecht funktionierende Wirtschaft, so wie es in der Öffentlichkeit den Menschen massiv suggeriert wird. Die Ergebnisse, die zunehmenden Misserfolge in der Praxis und Fehleinschätzungen und Irrtümer durch gesellschaftlich hoch angesehene Fachleute belegen dies sehr deutlich.
Vielmehr von Bedeutung ist für mich die moralische Qualität, die moralische Reife der Menschen. Und daran müßte endlich gearbeitet werden. Machen wir die Menschen, wir uns selber besser, wird auch die Gesellschaft menschlicher. Dieser Schluss klingt schlicht, naiv oder wie auch immer. Er ist deshalb aber nicht unbedingt falsch.

Wir brauchen keinen Staat, keine Gesellschaft der Intellektuellen, keinen der Akademiker. Wir brauchen keinen Standesdünkel. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der alle Menschen, gleich welcher Bildungsmöglichkeit, Bildungsfähigkeit oder welchem Bildungsstand, den gleichen Stellenwert den gleichen Respekt und die gleiche Wertschätzung durch die Gesellschaft erfahren!
Respektieren wir endlich das von der Natur ungleich verteilte Maß an geistiger Leistungsfähigkeit und Aufnahmefähigkeit an Bildung. Allein von oder mit Bildung kann kein Mensch leben. Bildung darf nicht weiter zum Maßstab des Respekts gegenüber dem anderen gemacht werden und erst recht keinen Anspruch auf irgendwelche Privilegien begründen.

Zu mehr Gerechtigkeit kommen zu wollen heißt auch, sich endlich vom Standesdenken zu verabschieden und dem damit verknüpften Anspruchsdenken. Wenn ich z. B. allein an die Praxis der Unterscheidung zwischen Gewerbetreibenden und Freiberuflern denke, rollen sich mir die Fußnägel auf. Das erinnert mich an die geschichtlich überlieferten Zustände zur Zeit der Sklaverei, wo es Freie Bürger und Sklaven gab. Der Freiberufler ist der freie, der mündige Bürger, der weder ein Gewerbe beim Gewerbeamt anmelden muss, demzufolge keine Anmeldegebühr zu entrichten hat, noch gezwungen ist, einer der Kammern anzugehören oder gar Gewerbesteuern zu entrichten hat, wenn er als Selbständiger arbeiten will. Selbst in Fragen der Buchführung genießt der Freiberufler Privilegien. Auch solche Bevorteilungen auf der einen und Diskriminierungen auf der anderen Seite müssen beseitigt werden, soll es in einer Gesellschaft tatsächlich gerecht zugehen.

Die Geringschätzung z.B. handwerklicher Begabungen

– angesiedelt vor allem in handwerklichen Berufen - muss aufhören. Die Erkenntnis, dass wir alle irgendwie vom Leistungsvermögen, den Fähigkeiten des anderen partizipieren und von dessen Leistungsangebot abhängen, sollte sich eigentlich im gesunden Menschenverstand wiederfinden lassen. Selbst und gerade auch der gesellschaftlich verpönte Hilfsarbeiter trägt auf seine Weise zum Gelingen des Funktionierens einer gesunden Gesellschaft und zu meinem persönlichen Wohlergehen bei! Vielleicht wird spätestens dann das Absurde der Übergewichtung der eigenen Bedeutung sichtbar, wenn jemand zwei linke Pfoten hat, die zwar zart und ohne Schwielen sind, die es ihm aber nicht ermöglichen, den Nagel in die Wand zu schlagen, an dem er stolz sein Diplom aufhängen will.

Klaus - 27.10.04